Anekdoten aus der Saurer Lehrzeit

Maya Jäger-Wiget Laborantenlehre im chem./phys. Labor der Firma A. Saurer 1954 – 1957

Wir Saurer-Lehrlinge waren mächtig stolz, in der weltberühmten Firma Saurer zu „ stiften“. Von „Berufskollegen“ in anderen Firmen wurden wir  beneidet wegen der hervorragenden, breitgefächerten Ausbildung auf höchster Stufe. Nachwuchsförderung  stand in der Firma weit oben und die grosszügige Lehrlingsbetreuung trug ihre Früchte, indem Saurer-Stifte stets die besten Plätze bei der Abschlussprüfung belegten und auch problemlos jede gewünschte neue Stelle bekamen. Als Stift wurden wir nicht, wie andernorts üblich, ausgenutzt. Vom ersten Tag an wurde man im Team integriert mit allen Rechten, und Pflichten. Pünktlichkeit und höchste Präzision undVerantwortung  bei den Arbeiten wurde uns beigebracht, aber auch selbständiges Denken gefördert. Ich genoss eine einmalig schöne Lehrzeit! Als 1.Lehrling im Saurerlabor, welches noch nie einen Lehrling ausbildete, war ich so eine Art von Versuchskaninchen und alle Vorgesetzten überboten sich an Hilfsbereitschaft, um ihr Wissen an mich weiterzugeben. Auch durfte ich in allen von mir gewünschten Abteilungen schnuppern. Unter den Saurer-Lehrlingen hatte ich schulmässig eine Sonderstellung, da ich nicht die betriebseigene Schule besuchen konnte, sondern die spez. Laborantenschule in St.Gallen wegen der Hauptfächer Chemie, Physik und chem. Rechnen; einen ganzen Tag pro Woche. Das Schulgeld und das Bahnabo bezahlte die Firma. Der Laborantenberuf  mit Kt.-Abschlussprüfung war noch ziemlich neu und die Ausbildung wurde leider auf nur 3 Jahre festgelegt; viel zu kurz für den anfallenden Lehrstoff ( wurde bald darauf auf 4 J. verlängert). Deshalb bestand meine Freizeit ausschliesslich aus lernen, was man damals aber klaglos hinnahm. Aergerlich waren nur im 1. Lehrjahr ( nach den üppigen Schulferien )die mageren Ferien; 12 Arbeitstage/Jahr und, wegen dem Lehrbeginn erst im April, pro Rata  unter 10 Tage. Als  Benachteiligung empfand ich auch den Ausschluss der Begünstigung meiner männlichen 300 Mitstifte. Jeder Saurerstift durfte auf Wunsch gratis während der Arbeitszeit bei Fahrlehrer Brunner  Lastwagen-Fahrstunden nehmen mit anschliessender Fahrprüfung + Führerschein. Unser Lehrlingsvater Herr Tanner stellte sich gegen meinen Wunsch, er fand es für die einzige Lehrtochter unpassend!! Sehr grosszügig zeigte er sich aber jedes Jahr, wenn er die Absolventen der Abschlussprüfung zu einem rauschenden Ball ins noble Hotel Bad Horn einlud. Ein wirklich würdiger Abschluss der herrlichen Stiften-Zeit.

Seit ich nach langer Abwesenheit wieder in meiner Heimatstadt wohne, denke ich sehr viel voll Freude und Dankbarkeit an meine lehrreiche Saurer Stiftenzeit zurück mit den liebenswerten, kompetenten Betreuern. Ich verdanke ihnen enorm viel. Es waren einmalig schöne Jahre!

Im 3. Lehrjahr passierte mir ein fürchterlicher Fehler:

Als grossen Vertrauensbeweis durfte ich für eine Woche die Nachtschicht übernehmen, ab 2 Uhr. In der Giesserei bleibt der Kuppolofen Tag und Nacht in Betrieb und in kurzen Abständen wird die Gusszusammensetzung im Labor vor allem auf den Silicium-und Kohlenstoffgehalt überprüft und je nachdem im Ofen korrigiert bis die Mischung stimmt. Um 6 Uhr muss der Guss giessbereit sein. In der 5. Nacht meldete ich ganz zuletzt einen falschen Messwert und die 1. Charge misslang, wie sich bei der Prüfung der gegossenen Stücke zeigte. Riesenaufregung im Labor und der Giesserei. Giessereidirektor Läsker zitierte mich in sein Büro, wo ich mehr tot als lebendig eintraf. Mein jämmerlicher Anblick verwandelte sein anfängliches Toben bald in begütigendes Trösten, sodass ich auf wackligen Beinen zurück im Labor von meinem Chef nach Hause entlassen werden konnte.

Eine solche Fehlanalyse wiederholte sich nie mehr!!!!!!!

Zu Weihachten 1954 erhielt ich vom Vertreter der Lieferfirma von Glaswaren für Laborbedarf zu meiner Ueberraschung und Freude eine prachtvolle Glasschale mit Deckel und dazu passend eine Rosenvase nebst einem Dankschreiben für den merklich gestiegenen Umsatz an Erlenmeyern, Bechergläsern, Pipetten und Glaselektroden. Die Heiterkeit meiner Vorgesetzten dämpften nun etwas meine Freude und beschämt dachte ich an die vielen Scherben in den ersten Wochen zurück, über welche sie immer so grosszügig hinweg gesehen hatten. Ein gutes Beispiel, wie verständnisvoll mit uns Stiften umgegangen wurde.

2.3.2024      Maya Jaeger-Wiget, Arbon


Arthur Straub, Dreher, Lehrzeit 1957-1961

Arthur Staub, genannt Turi, geboren 1940, trat nach Schulabschluss in die Firma Sauerer ein. Zum gleichen Zeitpunkt wurde sein Vater nach 45 Jahren Arbeit am gleichen Ort pensioniert. Eigentlich hätte Turi am liebsten Tierpfleger gelernt. Doch nein, der Vater meinte, bei Saurer wäre sein Sohn sein Leben lang in sicherer Stellung. „Du kannst gleich in der Fräserei anfangen, als Hilfsarbeiter verdienst du mehr denn als Lehrling“ meinte er. Doch da wehrten sich seine älteren Schwestern: „Kommt nicht in Frage. Auch Turi soll eine Lehre machen dürfen“.

Er begann sein Berufsleben als sog. Laufbursche, bekam somit Einblick in die verschiedenen Bereiche des  Betriebs. Erst einJahr später begann die 4-jährige Lehre als Dreher. Die Mechanik des Drehbanks faszinierte ihn,  sehr gerne arbeitete er an Einzelstücken, sogenannten Prototypen. Zwischendurch gab es immer wieder monotone Routinearbeiten. Aus diesem Grund hatten zwei Lehrlinge aus Turis Gruppe die Lehre abgebrochen, weshalb auch Turi in eine Motivationskrise geriet. Doch er hielt durch, nicht zuletzt wegen dem energischen Zuspruch seiner Mutter.

Im 3. Lehrjahr bekam er die Chance, innerhalb der Firma den Führerschein für Lastwagen zu erwerben.Saurer hatte damals einen grossen Bedarf an geeigneten Anwärtern für Lastwagenchauffeure. Turi bestand die Prüfung, was ihm später ermöglichte, die Rekrutenschule bei den Motorwagenfahrern zu absolvieren. Darüber war er sein ganzes Leben lang sehr stolz.

Es lässt sich heute schwer herausfinden, wie hoch Turis Stundenlohn als Lehrling gewesen war, jedenfalls weniger als einen Franken. Der Lohn wurde zweiwöchentlich am Samstag ausbezahlt, vom Lehrmeister in einem gelben Papiersäcklein persönlich übergeben. Turi erinnerte sich gut daran, wie die Frauen am Zahltag jeweils am Fabriktor standen, um den Lohn ihres Mannes gleich abzufangen, bevor die Männer in die nahe Wirtschaft gingen.Turi hatte sich geschworen, dass es in seiner späteren Ehe nie soweit kommen soll. Seiner Mutter legte er stets sein Zahltagsäckli ungeöffnet auf den Küchentisch, so wie es sein Vater immer getan hatte. Dann bekam er von ihr sein Taschengeld, womit er knapp bis Ende Monat über die Runde kam. Oft musste er seine älteren Schwestern um einen Zuschuss bitten. Man konnte damals mit einem Fünfzigrappenstück in den Ausgang gehen: Ein Becher Bier kostete 45 Rappen plus 5 Rappen Trinkgeld.

Aus der Erinnerung aufgeschrieben im Mai 2024 von seiner Frau Ruth Staub


Werner Künzler, Maschinenschlosser, Lehrzeit 1959-1963

Liebe ehemalige Lehrlingskollegen und Lehrlinge, die in ihrer Ausbildung meine Aufsicht und Anleitung „geniessen“ durften.

Die Lehrlingsausbildung bei Saurer vor 50 Jahren war stark geprägt von traditionellen Methoden und einem Fokus auf handwerkliche Fähigkeiten. Die Ausbildung war stark auf die Bereiche von Nutzfahrzeugen und Textilmaschinen ausgerichtet. Saurer bildete in den 60er bis 70er Jahren bis 400 Lehrlinge aus.

Die Lehrlinge im Handwerklichen Bereich haben nach der Grundausbildung in der Lehrwerkstatt in verschiedenen Abteilungen rotiert, um ein breites Verständnis für die Produktion und die verschiedenen Prozesse zu entwickeln. Die Ausbildung war stark auf praktische Fertigkeiten wie Maschinenbedienung, Montage und Wartung ausgerichtet.

Die Ausbildung vor 50 Jahren war auch hierarchisch, mit klaren Strukturen und Autorität innerhalb des Unternehmens ausgerichtet. Die Lehrlinge wurden von erfahrenen Handwerkern und Fachleuten unterrichtet und angeleitet.

Die Ausbildung war stark von mechanischen Systemen geprägt, da elektronische und computergesteuerte Maschinen vor 50 Jahren noch nicht verbreitet waren. Wir Lehrlinge haben also vor allem mit mechanischen Systemen, wie Fräs- Dreh- und Schleifmaschinen gearbeitet und auch gelernt im textilen Bereich Web- und Stickmaschinen und im Auto- und Motorenbereich komplexe Montagen durchzuführen.

Zu meiner persönlichen Lehrzeit:

Ein Eintrittstest war obligatorisch und deutete darauf, dass das Unternehmen qualifizierte Bewerber auswählen wollte, die über das notwendige Grundwissen und die Fähigkeiten verfügten, um erfolgreich in der Ausbildung zu sein. Die Ausbildung war anspruchsvoll und setzte hohe Standards. Sie zielte darauf ab, qualifizierte Fachkräfte für das Unternehmen auszubilden und zu fördern. Deshalb war eine Lehre bei Saurer auch sehr beliebt und ein grosser Teil der Absolventen blieb nach der Lehrzeit im Betrieb oder bildete sich weiter. So waren viele der Absolventen später auch in leitenden Funktionen tätig oder liessen sich als Techniker und Ingenieure ausbilden.

Die Teilnahme an auserschulischen Aktivitäten wie Sportvereinen war von der Genehmigung des Lehrlingschefs Herr Tanner abhängig und auf Leistungen im Betrieb abgestützt. Das zeigt eine strenge Kontrolle und einen Fokus auf die berufliche Entwicklung der Lehrlinge. Das Unternehmen legte grossen Wert auf die Disziplin und das Engagement seiner Lehrlinge legte und wollte sicherstellen, dass ihre Zeit ausserhalb des Betriebs auch dazu genutzt wurde, die Fähigkeiten und Leistung zu verbessern.

Meine Lehrzeit als Maschinenschlosser dauerte von 1959 bis 1963. Ich bin mit über 180 Lehrlingen ins erste Lehrjahr eingetreten. Neben Maschinenschlosser- Dreher- und weiteren mechanischen Berufen, waren auch Konstrukteure und kaufmännische Lehrlinge dabei.

Einige Erlebnisse aus meiner Lehrzeit:

In die Lehrwerkstatt bin ich am 1. April, mit einem viel zu grossen „Übergwändli“ meines Vaters eingetreten. Dazumal war die Abgabe eines „Saurer-Gwändlis“ noch nicht üblich. Roman Willi hat den Betrieb mit starker Hand geleitet. Hans Eugster mein Lehrlingsausbilder war ebenfalls sehr streng und hat uns kompetent überwacht. Wie sicher noch einige von Euch wissen, waren die ersten Wochen vom Feilen geprägt. Bei einem U-Eisen mit etwa 5 cm Schenkelhöhe und etwa 8 mm Schenkeldicke mussten die Schenkel bis auf die Grundplatte heruntergefeilt werden, was nicht nur bei mir, schon am ersten Tag eine grosse Blase verursachte. Das Feilen füllte mich dann, mit Heftpflastern an der Hand, voll aus. Erst später waren dann das Feilen von ebenen Flächen, mit leicht konkaver Oberfläche ebenso ein langwierige Übung. Genaue Einpassarbeiten, Löt- und Schmiedearbeiten waren ebenfalls Inhalt der Ausbildung. Alles Dinge, die heute kein Mechanik-Lehrling machen kann und auch muss, denn computergesteuerte Maschine nehmen ihm diese Arbeiten ab.

In Erinnerung ist mir auch noch das Tee holen in der Saurer-Betriebskantine. Die Flaschen waren übrigens meist rund um mit verklebt, da „kiloweise“ gezuckert wurde! Für den Bezug gab es „Saurer Münzen“, die sich auch eigneten um in meinem Stammlokal die Juke-Box zu bedienen, bis mir die Wirtin auf die Schliche kam!

Der Zutritt zum Werk I war über zwei Eingänge möglich. Der eine Eingang für die Arbeiter und der Zweite für die Angestellten. Wehe, wenn wir Lehrlinge mal versuchten den Herren-Eingang zu benutzen! Wir wurden zurückgepfiffen und mussten rund um den Marktplatz zum anderen Eingang laufen.

In der Textilmaschinenmontage kann ich mich noch gut an eine Episode erinnern. Ich musste innerhalb einer Arbeitergruppe Schützenkästen für Webmaschinen montieren. Schon nach einigen Tagen hat mich der Gruppenführer ermahnt, nicht so schnell zu arbeiten. da sie sonst einige „Bedaux“ verlieren würden! Dieses Akkordsystem, das dazumal üblich war, mass die Leistung und war damit Lohnmassgebend.

In der Automontage unter Meister Reich kippte mir eine Hinterachsfeder auf den Fuss und quetschte mir zwei Zehen. Der Meister verbot mir den Sanitätsposten aufzusuchen: „Tu doch nicht so wehleidig, da beisst man durch!“ Diese Zehen verursachen mir auch noch heute Beschwerden, wenn sich der Fuss stark abkühlt.

Soweit ich mich erinnern mag, war ich stets ein „braver“ Lehrling und habe, soweit ich mich erinnern kann, nur einmal gesündigt! Wir haben die Berufsschule noch in der Saurer-Berufschule , stirnseitig am Ersatzteillelager am See, besucht. Am Ende eines Schultages fielen die letzten Stunden aus und wir wurden aufgefordert wieder in den Betrieb arbeiten zu gehen. Aber die freien Stunden lockten mich und einige Kollegen all zu sehr und wir haben geschwänzt. Natürlich hat unser Lehrlingschef davon erfahren und wir durften zur Strafe, während drei Samstagen von 7 – 12 Uhr im Archivkeller aufräumen. Dabei haben wir wohl auch „unbewusst“ einiges falsch eingelagert und Roger Kohler musste sicher in letzter Zeit wieder etwas ordnen!

Im 3. – 4. Lehrjahr (ab Alter 18) konnten wir dann die Lastwagen-Fahrschule auf einem „Saurer SV2C, bei Herrn Josef Brunner Senior besuchen. Die Firma übernahm für uns die Kosten. Wir mussten nur die Ausweise bezahlen. Natürlich war das ebenfalls nur bei entsprechender Leistung in Schule und Betrieb möglich!

Veränderungen ab den 80er Jahren.

Viele Veränderungen während meinen aktiven Berufsjahren bei Saurer von 1959 bis 2003 in der Lehrlingsausbildung habe ich hautnah miterlebt, war ich doch während dieser Zeit stets auch in der Ausbildung involviert. Die Firma wurde ja laufend redimensioniert und hatte grosse Auswirkungen bei der Lehrlingsausbildung und die Zahl der Lehrlinge wurde laufend reduziert.

Im Jahr 1995 wurde die Mechanik-Lehrwerkstatt von René Schlappritzi aufgelöst und ich wurde, neben den Aufgaben als Meister und später als Fertigungsleiter für die Ausbildung und die Belange der Mechanik-Lehrlinge verantwortlich. Die Grundausbildung der Lehrlinge fand, während eines Jahres in der Firma Bruderer Frasnacht statt. Meine Aufgaben umfasste die Rekrutierung von je zwei Lehrlingen pro Lehrjahr, die Erstellung von Instruktionsunterlagen und Einsatzplänen in den Werkstätten. Ergänzungskurse wurden bei Swissmechanik in Weinfelden durchgeführt.

2002 kündigte die Firma Bruderer den Vertrag „Grundausbildung“ und die Lehrlinge wurden in der Firma Starrag Rorschach ausgebildet.

Eine kleine Episode möchte ich aber noch erwähnen. Andreas Bischof, gesamtverantwortlicher für die Ausbildung und heute Leiter der Lehrlingsausbildung bei Bühler Uzwil, organisierte jährlich eine Lehrlingsexkursion für die 4. Jahr Lehrlinge. 1996 führte eine Reise nach München ins Deutsche Museum und natürlich auch ins Hofbräuhaus. Zu Beginn unserer Reise nach München wurde unsere Gruppe kurz nach der Grenze in Österreich kontrolliert. Einer der Zollbeamten war mit Hund unterwegs und hat wohl bei drei von unseren Lehrlingen und Lehrtöchtern etwas ähnliches wie Hanf gerochen. Jedenfalls wurden die drei im Grenzzollamt Lindau zurückgehalten und durften, nach einigen Stunden, die Reise wieder nach Hause antreten. Nicht alle sind sind wieder direkt nach Hause zurückgekehrt, sondern haben die Stunden bis zu unserer offiziellen Rückkehr bei einem Kollegen verbracht.

16.5.2024      Werner Künzler


Max Bühler, Modellschreiner, Lehrzeit 1968-1972

Nach bestandenem Eignungstest bekam ich die Zusage, bei SAURER die Modellschreinerlehre machen zu können.

Mein Grossvater (damals Schmid bei der Traktorenfabrik Bührer) meinte, dass ich ein grosses Glück hätte, bei einer solchen Firma die Lehre zu machen.

Am Eintritsttag wurde mein Lehrlinskollege und ich mit dem Büssli ins Werk 2 gebracht. Zuvor hatte uns Herr Luzzi Gross eine Einführung gegeben und den Tagesablauf erklärt. Unter anderem erfuhren wir, dass jeder Lehrling eine kurze Znünipause machen dürfe. Mit diesem Wissen wurden wir in der Modellschreinerei abgeliefert. Dort nahm uns Herr Henauer, dazumal Meister, und Herr Willi Protzer, Lehrlingsausbildner, in Empfang.

Nach kurzer Einführung gings schon los.

Im Mittelboden (Holzlager) ein geeignetes Brett holen und nach oben schleppen. Mit der Handsäge das Brett zuschneiden und mit dem Handhobel bearbeiten. Bei mir ging das allerdings nicht, weil der Hobelbank für mich zu hoch war. Also kurzerhand dessen Beine kürzen, damit er für mich passte.

Dann war es bereits Zeit für unsere erste Znünipause. Mein Kollege und ich nahmen auf dem Hobelbank Platz und freuten uns auf das Znünibrot. Kaum ausgepackt, «düste» Herr Protzer um die Ecke. Mit hoch rotem Kopf erteilte er uns eine Lektion in Sachen Znüniessen. «Bei uns wird während der Arbeit und im Stehen gegessen. Hier sitzt niemand.»

Am Freitag mussten wir Stiften immer die Maschinen putzen.

Dazu gehörte auch eine Drehbank mit Keilriemenantrieb. Um diese reinigen zu können, musste man auf der Leiter ca. 3 Meter hochsteigen. Das hielt aber Herrn Henauer nicht ab, nachzuprüfen, ob die Antriebsräder und Speichen sauber seien. Mit dem Zeigefinger fuhr er dem Rad entlang und strich uns das Resultat auf die Wange.

Um den Klötzliboden zu putzen, mussten wir in der Werkzeugausgabe jeweils einen Reisbesen ausfassen. Mein Besen hatte kaum noch Borsten und putzen war damit unmöglich. Also beschwerte ich mich und wollte einen besseren Besen haben. «Für die Stiften reicht der Besen allemal», war die Antwort. Etwas erzürnt habe ich den Besen einfach zersägt. Dass dies eine schlechte Idee war, erfuhr ich sogleich. Antraben bei Herrn Henauer und Strafarbeit am Samstagmorgen.

Gratis Maschinen putzen.

Mehr als ein halbes Jahr mussten wir alle Arbeiten am Holz von Hand ausführen. Dazu gehörten auch die wichtigsten Holverbindungen. Maschinen benützen strengstens verboten.

Eines Tages (ich war schon Stunden mit der Feile beschäftig und die Winkel wollen einfach nicht stimmen) entschloss ich mich nach kurzer Abwesenheit von Herrn Protzer, die Schleifmaschine zu benutzen. Damit das nicht auffiel, habe ich noch etwas mit dem Schleifpapier nachgeholfen. Dann habe ich mein Lehrstück zur Kontrolle gegeben. Alle Winkel und Masse wurden geprüft.

Kommentar vom Lehrmeister:

«Bühler», – wir wurden nie mit dem Vornamen angesprochen -, «es geht doch!» Total aufgestellt, wenn auch im Bewusstsein, dass ich geschummelt hatte, freute ich mich auf die nächste Aufgabe. «Bühler, chum mit», lautete die Aufforderung. Zusammen gingen wir Richtung Bandsäge. Kurz eingeschaltet, schob Herr Protzer mein Lehrstück durch die Sage und die entstandenen Teile in die Holzkiste.

«So, Bühler, jetzt mached mer alles nomol, ohni Schliefmaschine.»

9.8.2024      Max Bühler


F. Xaver Suter, KV, Lehrzeit 1972-1975

Ich machte eine KV Lehre bei Saurer Arbon und kam so alle 3 – 4 Monate in eine andere Abteilung.   

In der ersten Abteilung war ich in der Registratur beim Kundendienst/Verkauf Nutzfahrzeuge. Ich habe dort unter anderem geholfen, die Korrespondenz von und an Kunden abzulegen; ebenso Offerten oder Reklamationen. Es waren in der Regi (so wurde sie abgekürzt) mehrere Personen tätig. 

Einmal wurde ich beauftragt, eine Offerte oder Kaufvertrag dem Prokuristen in einer Fächermappe zur Unterschrift vorbeizubringen. Man sagte mir, die Mappe müssen links von seinem Arbeitsplatz hingelegt werden, wenn er nicht im Büro sei. Wenn ich das nicht einhalte, werde er schimpfen kommen. Ich fragte dann die Leute im Büro, warum ich das links hinlegen müsse. Niemand konnte es mir erklären; so habe ich sie dann rechts hingelegt, weil ich wissen wollte, warum das so gewünscht wird. 

Und prompt kam der Prokurist und fragte, wer die Unterschriftenmappe rechts hingelegt hätte. Ich meldete mich und sagte, dass ich dies mit Absicht gemacht hätte, denn niemand habe mir den Grund sagen können, warum das links liegen müsse. So hat er es mir erklärt; die Anwesenden haben es dann auch gehört. Dann hat er mich gelobt, dass ich mir bei der Arbeit etwas gedacht hätte. 

Eine Station war auch die Finanzbuchhaltung, wo eine sehr gedämpfte Stimmung herrschte. Ich konnte das dann etwas auflockern und man sagte mir im Büro: «Schön, dass du etwas zur Auflockerung beitragen konntest.» Einmal wurde ich für eine Woche dem Mitarbeiter zugeteilt, der sich mit Fremdwährungen herumschlagen musste. Und am letzten Tag der Woche meinte der Bürochef, ich solle ihm vom Nachbarsbüro Kontoblätter bringen. Ich sagte, ich sei diese Woche nicht für ihn zuständig. Er wurde lauter; ich schaute meinen Betreuer an, der schliesslich nickte. Also ging ich ins Nachbarsbüro, drückte die Türfalle runter und trottete die Kontoblätter holen. Die Leute in dem Büro fragten mich: «Was ist denn mit Ihnen los?» Ich antwortete, dass ich mir wie ein Elefant im Porzellanladen vorkäme, wo einer…

Als ich dann das Büro wieder verliess, stand im Gang der Bürochef und sagte: «Lehrling, ich wollte nur testen, ob Sie die Nerven verlieren.» 

Eine Station war auch das Giessereibüro. Da verstand ich mich gut mit dem Zuständigen der Brückenwaage. An heissen Sommertagen musste mit dem Wasserschlauch das Blechhüttli gekühlt werden. Wenn eine Wägung angekündigt wurde, konnte man vorkühlen; sonst war das eine heisse Sache. Und der Lehrlingsbetreuer dort hat mir am Anfang gesagt, wenn ich irgendwohin gehe, müsse ich es ihm sagen. Und er kontrollierte es auch, was ich lästig fand. Der Bürochef war ein Schulkollege meiner Mutter; sie war in Arbon aufgewachsen, ich hingegen in Basel. Ich habe ihm einen Gruss von ihr ausgerichtet. Eines Tages kam er nach dem Mittagessen zu mir und teilte mir mit, im Haus meiner Tante brenne es; ich soll hingehen und sehen, ob ich etwas helfen könne. So ging ich hin, musste aber nicht helfen.

In der zweitletzten Woche im Giessereibüro sagte ich dann dem Lehrlingsbetreuer: «So jetzt kommt eine ruhige Zeit und Sie müssen nicht mehr dem Lehrling hinterherlaufen.» Er war ganz verunsichert und ich bekam ab dann täglich etwas aus seinem Garten zum Znüni oder Zvieri. 

Schön war die Zeit bei Saurer Arbon. Nach der Lehre blieb ich noch 1 1/2 Jahre in der MAP als technischer Berichteschreiber für die Produktion oder Konstruktionsbüro wie auch Einkauf etc. Es zog mich dann wieder in meine Geburtsstadt Basel, wo ich noch in der Rep’Werkstatt von Saurer Basel Rechnungen schrieb. Anschliessend wechselte ich zum Staat Basel, wo ich während 40 Dienstjahren im Rechnungswesen tätig war. 

11.8.2024      F. Xaver Suter


Roger Kohler, Mechaniker, Lehrzeit 1986-1990

Umfassender Lehrbeschrieb. PDF Dokument

1.8.2024      Roger Kohler


Thomas Raymann, Saurer Zentrallager und Saurer Nutzfahrzeuge AG, Lehrzeit 1988-1992

Saurer Nutzfahrzeuge AG

Ich war 1988 nach der damals obligaten Eintrittsprüfung der letzte Lehrling der noch einen Adolph Saurer Lehrvertrag für das Ersatzteillager am See unterschrieben hat.
Der Vertrag wurde dann innerhalb des ersten Lehrjahres auf Saurer Nutzfahrzeuge abgeändert und ich musste meinen Arbeitsort vom See wechseln, zur Saurer Nutzfahrzeuge AG, gegenüber dem Arboner Bahnhof.
Als Kind erinnerte man sich in den 1970er/80er Jahren noch an die tausenden Saurer Mitarbeiter die in und aus den Werken strömten. 1989 waren es nur noch wenige Dutzend.
Arbon kollabierte langsam mit dem Wegzug der Familien auf Suche nach Arbeit.
Man erinnert sich sicher noch an das Arboner Spielwaren Geschäft Leo das als eines der ersten einging. Der Inhaber wechselte dann asymetrisch zur Saurer Buchhaltung und verschwand dann kurz darauf mit einem Grossen Batzen aus der Saurer Kasse nach Italien und wurde nie mehr gesehen.
Aus seiner Sicht, den Verursacher seiner Not in die Verantwortung gezogen…! Ironie des Lebens.

1989 lernte ich in der Werkstatt der Saurer Nutzfahrzeuge AG noch die letzten echten Saurer Männer kennen. Echte Büetzer und „knallharti Sieche“. Gibt es heute nicht mehr.

Gleich in den ersten Wochen der Lehre ging ein älterer Herr nach über 40 Jahren bei Saurer in Pension.
In der Werkstatt scharten sich die Mechaniker um den Alten, man schenkte einen Grill mit Fleischkorb dazu, es gab die sprichwörtliche goldene Saurer Uhr.
Der alte Herr schwärmte nochmals von jungen Tagen, auch von Besuchen bei Saurer London 1950er wo er immer noch von den top modernen und führenden Saurer Entwicklungen für den angelsächsischen Raum schwärmte.
Wir junge Frischlinge kannten das alte weltweite Saurer Netz schon nicht mehr.
Man konnte das alte Firmenimperium nur erahnen. Wir waren damals in der letzten Phase des Untergangs und wussten das.
Dann flossen beim alten Herren die Tränen.
Das Arbeitsleben das man liebte und kannte war nun offiziell vorbei. Er wollte nicht weg.
Denke oft daran zurück, heute rettet sich jeder schnellstmöglich aus der menschenverachtenden Globalisierung in den Ruhestand. Mit den Unternehmen verbindet die Leute ausser dem Geld nichts mehr.
Die jungen sind nach 2 Jahren wieder weg und jagen dem nächsten höheren Gehalt hinterher.
Für die Firma ist man heute nur eine anonyme Kostenstelle.
Bei dieser Werkstatt Pensionierung im Kreis der Saurer Mechaniker 1989 war jeder noch wer, oft Lebenslange Profis auf Ihrem Gebiet. Das Kollektiv eine eingeschworene Gemeinschaft, fast Familie.
Ein Leben ausserhalb Saurer oder was mit der Globalisierung noch kommen sollte war undenkbar. Es waren noch heile Tage voller ehrlicher Knochenarbeit.
Männer die sich zum Wohl der Firma Saurer aufopferten und das als selbstverständlich sahen.

Eugen Frei der Werkstatt Chef der Nutzfahrzeuge bleibt mir in Erinnerung. Er orchestrierte die Mechaniker, den ständigen Strom an Fahrzeugen und die speziellen Kundenwünsche.

Dann gabs noch Jack Germann, Spezialist für das Honen von Lastwagen Zylindern. Er machte den ganzen Tag nichts anderes.
Er fuhr mit dem Moped in die Werkstatt und parkierte gleich neben seiner Hon-Maschine. Oft ein Karton Bierflaschen hinten auf dem Gepäckträger des Töffli. Er machte eine schweisstreibende Arbeit. Einen Fahrausweis für Auto oder LKW hatte er nie gemacht, reparierte aber die grössten Fahrzeuge auf der Strasse.
In der Werkzeugausgabe arbeitet der Appenzeller Niederer. Der holte auch mal ein leeres Öl Fass aus dem Lager, legte einen Grill drauf und dann gabs heissen Fleischkäse in der Werkstatt. In der Nacht wachte man dann auf, mit lauter kratzigen grünen Punkten auf der Haut, vermutlich eine Reaktion auf das Restöl das im Fass mitverbrannte beim Grillen…en Guete!

Hurrä Satan
Die Appenzeller Mechaniker Enzler und Koch arbeiteten oft zusammen.
Bei ihnen hiess jeder Chlapf der rein kam „Hurrä Satan!“ Den galt es zu bodigen!
An einem Abend kam Transporteur und Hauptkunde Mick Farner mit dem Stumpen in die Werkstatt um einen brandneuen Drei Achser Mercedes LKW abzuholen.
Farner lief einmal um den neuen Chlapf und schüttelte den Kopf. Werkstattchef Geni Frei eilte herbei um zu erfahren was nicht stimmte.
„Will gliich kein drüüachser! Passt mer nöd. Will en Vierachser! Chum en morn goh hole!“
Der Kunde hatte gesprochen.
Geni kommandierte sofort Koch und Enzler herbei zur Befehlsausgabe.
Im Ersatzteillager holte man die nötigen Zeichnungen und fuhr dann zur NAW wo man alle Mercedes Teile ausfasste.
Um 17:00 wurden die Lehrlinge nach Hause geschickt. Koch und Enzler arbeiteten durch die Nacht. Um 06:30 am nächsten Morgen stand der umgebaute Vierachser da.
Um 08:00 Abnahme durch den nickenden Mick Farner.
Auch dieser Satan gebodigt. Die beiden Mechaniker konnten dann nach Hause ins Bett.
Was für eine Nachtübung!
Welche Firma würde heute so einen Kundendienst leisten!?

Herr Fischbacher der Leiter Getriebewerkstatt war auch der Lehrlingsverantwortliche.
Immer geduldig und auf alle Fragen die richtige Antwort.
Wenn ich mich richtig erinnere stellte man in der Getriebewerkstatt auch noch von Hand Zahnräder her, bei Bedarf Oldtimer.
Wer kann das heute noch!?

Ein Oberlehrling namens Meyer (kein Führerschein) fühlte sich verpflichtet den Unterlehrlingen LKW Fahrstunden auf dem Werksgelände zu erteilen.
Nach der Reparatur machte er schnell eine Funktionskontrolle um das Werksgelände.
Dabei durfte ein jüngerer Lehrling mitfahren und man tauschte ausser Sichtweite die Plätze.
Ich durfte dann auch mit in einem 2DM und als ich um eine Halle Bog streifte ich die Hauswand und zerkratze die LKW Seite.
Damals gar kein Problem!
Wir gingen ins Lager fassten auf den noch offenen Auftrag die nötigen Teile aus und reparierten. Kosten dann nicht Einzelpositionen sondern CHF 2000.- Klein und Reinigungsmaterial.
Wurde damals immer anstandslos bezahlt.
Ich bedanke mich nachträglich bei allen Saurer Kunden für die kostspieligen Fahrstunden der Saurer Lehrlinge.
Wir könnens jetzt, dank euch!

Schweigen ist Gold
Für ein paar Wochen musste ich in der Administration aushelfen, die Abteilung von Herr Hänsel einem sehr korrekten deutschen Herren.
Leider sehr langweilig. Ich musste feststellen das hier alle den ganzen Tag schwiegen. Totenstille.
Am dritten Tag kam Herr Hayn ein anderer deutscher Herr an meinem Tisch vorbei und blieb stehen. „Hast Du gestern Fussball gesehen?“
Ich hatte nicht mal Zeit zu antworten, da Stand Abteilungsleiter Herr Hänsel bereits zwischen uns.
„Meine Herren, bitte keine Privatgespräche während der Arbeitszeit, nur geschäftliches!“
Das Schweigen ging wieder weiter…
Unglaublich aber wahr! Damals herrschte noch Disziplin.

Ruedi Hayn war in Arbon sehr bekannt und gemocht. Ein Saurer Original. Er hatte bei Kriegsende 1945 die Lehre in Deutschland abgeschlossen. Als Lehrabschluss Geschenk durfte er in den Keller der zerbombten Fabrik und dort das Teil verschüttete Montageband mit Tiger Panzern zu besichtigen. Mehr gabs als Belohnung nicht…
Sein Vater hatte für den Russlandfeldzug die Flugplätze in Russland für die Luftwaffe geplant und gebaut.
Ruedi hatte es nach dem Krieg dann zu Saurer verschlagen wo er ein sehr beliebter Kollege war, den alle mochten.

Stempeluhr Kollegen
Gerhard «Gerry» Breu war ein weiterer Appenzeller, ganz tiefe brummige Stimme.
In der ersten Lehr Woche wünschte ich ihm „en Guete“ beim abstempeln mit Lochkarte am Mittag.
Als Antwort gab es: „Heb d’Schnorre zue, muess selber Fresse!“
Hab dann sicherheitshalber die Lehrjahre durch nichts mehr gesagt an der Stempeluhr am Mittag. Lehrlinge wollte man bei Saurer sehen aber nicht hören.
Prompt am Tag nach der Lehrabschlussprüfung war ich an der Stempeluhr, Gerry Breu kam auf mich zu, türmte sich vor mir auf und sagte nach Jahren des Schweigens freundlich: „En Guete gäll!“ Er hatte geduldig meine Lehrjahre abgewartet. Tag um Tag.
Damit war die Lehre offiziell beendet, man gehörte dazu zur Saurer Bruderschaft.

Schlafplatz im Lager
Im Ersatzteillager arbeitete damals ein Marcel Spiri.
Der ging am Wochenende gerne und heftig in den Ausgang. Oft schloss man am Morgen das Lager auf und ging nach hinten um die Fenster zu öffnen, dann lag Marcel Spiri auf einer Palette im Gestell zwischen den Motoren…hatte nach der Beiz den Heimweg nicht mehr geschafft und war so gleich in der Arbeit. Praktisch.

Saurer Zentrallager am See
Im Zentrallager am See sind mir Herr Indermauer, ehemaliger Schiffsingenieuer der Schweizer Hochseeflotte und Frau Ackermann eine ältere Dame in guter Erinnerung. In der Zeit vor Computer hatten diese Lagerarbeiter alles, aber wirklich alles, im Kopf. Die altgedienten sogar die Artikelnummern von tausenden Teilen. Man identifizierte sich mit der Arbeit, bis zur Perfektion.
Frau Ackermann war immer freundlich und brachte den Lehrlingen auch mal einen Gipfel oder Zimt Schnegg mit für die Pause.
Salami lehnte sie vehement ab, denn sie hatte mal auf dem Fernsehen gesehen das „armi Eseli ih dä Salami landet“.
Frau Ackermann wusste fast alle Teile im Lager auswendig.
Im Zentrallager ca. 200m lang, waren 400’000 Ersatzteile für alle LKW seit vor dem 1. Weltkrieg in haushohen Gestellen und tausenden kleinen grauen Karton Schachteln untergebracht. Metrisch und Zoll wohlgemerkt!
In jeder Schachtel oder an jedem Palletten Platz war ein Metallrahmen mit einem Papier drin. Hier stand der Bestand am jeweiligen Lagerort und man musste jeden Ausgang dort eintragen, subtrahiren und unterschreiben.
Zuweilen kam es vor das man in einer besonders staubigen Schachtel weit oben im Gestell ein Kärtchen fand wo der letzte Ausgang 1908, vor 81 Jahren eingetragen war. Man bedenke die knappe und kurzfristige Lagerhaltung heute. Früher hatte man einfach alles immer bereit am Lager und konnte den Kunden immer beliefern.
Verzollungsdokumente wurden mit Durchschlag auf der Schreibmaschine geschrieben, eine ungeliebte langweilige Arbeit.
Um 16:00 Uhr mussten Gitterboxen mit Ersatzteilen für Grosskunden und Armee gerüstet sein. Der berühmte blaue Saurer Ersatzteil LKW verlud dann die Gitter und Paletten für seine Liefertour.
Durch den Hinterausgang Ersatzteillager gelangte man zur Seepromenade. Hier konnte man Pause auf der Quaimauer machen im Sommer, unter den Kastanienbäumen entlang dem See.
Es gab einen kleinen Steg und ein Ruderboot. Dieses Boot wurde oft genutzt um fehlgeschlagene teuere Lehrlingsarbeiten der Lehrwerkstatt heimlich etwas weiter aussen im See zu versenken, bevor es obligate Schläge setzte.
Bei tiefem Wasserstand kamen aber einige dann doch wieder zum Vorschein…autsch!

Opi
Einer der Altgedienten und meist gefürchteten Mitarbeiter war Walter „Opi“ Opprecht, damals ca. 46, von allen gefürchtet da er schnell jähzornig wurde. Unberechenbarer Typ. Speziell die Lehrlinge (Stifte) machten einen grossen Bogen um ihn.
„Opi“ war noch alte Schule, verteilte gerne Ohrfeigen, warf den Lehrlingen auch mal einen Bleihammer oder falsch herausgegebene Ersatzteile an den Kopf, oder hängte einen „Bürogummi“ im Kittel an den Kleiderhaken, wenn es ihm nicht speditiv genug ging.
Ich kann mich erinnern das ein Mitlehrling nach einem Bleihammer an den Kopf die Lehre kurzerhand abbrach.
„Opi“ hatte sich über die Jahre gesundheitlich im Dienst für Saurer ruiniert.
Er humpelte auf beiden Beinen, hinter der dicken Hornbrille die obligaten Augen mit Punktverbrennungen vom Schweissen ohne Schutzbrille, vom Achsbolzen ausschlagen mit dem Vorschlaghammer ohne Gehörschutz hörte er nicht mehr gut.
Rückblickend eine tragische invalide Gestalt im blauen Saurer Kombi der da über den Holzklotzboden der Werkstatt humpelte. Physisch und Psychisch ein Wrack.

Opi gibt Gas und ein Lehrling wir gerettet
Ich hatte dann das Lehrling Unglück das ich „Opi“ zugeteilt wurde in der ersten Woche Werkstatt.
Gleich in den ersten 10 Minuten teilte Werkstatt Chef Eugen „Geni“ Frei der alle gerne als „Schofseckel“ betitelte „Opi“ und mir einen LKW zu, der nicht rund lief.
Als unbrauchbarer Neuer befahl mir Opi ins Füherhaus zu steigen und klappte den Motorraum des Schnauzer LKW auf.
Er steckte den Kopf zwischen die Lüfterflügel um mit der Taschenlampe den Motor besser abzuleuchten.
Dann brüllte er mir zu: „Motorbremse!“
Als ahnungsloser Schulabgänger ohne Führerschein hatte ich keine Ahnung was eine Motorbremse ist.
Trat mal auf alle Pedale, zog die Hanbremse an…
„Motorbremse gopfätami!“ brüllte Opi mit bösem Unterton ungeduldig.
Leichte Panik stieg bei mir auf. Ich sah einen Knopf den ich noch nicht probiert hatte, konnte ja nur noch der sein.
Liess sich nicht drücken, man musste ihn ziehen. Sicher richtig! Ich zog.
Stotternd sprang der Motor an, es war der Starter!!
Von vorne kam ein Donnerwetter vom guten alten Opi der vom Lüfterflügel fast geköpft worden war. Irgendwie hatte er blitzschnell den Kopf noch zurückziehen können. Wie ein geölter Blitz schoss er Wut entbrannt mit rotem Kopf und ausser sich auf die Kabine zu, um mich richtig windelweich zusammenzuschlagen.
Ich war noch unter Schock, ich dachte zuerst ich hätte eine Leiche verursacht, nun stürmte die Leiche mit Mordabsicht auf mich zu.
Wie aus dem Nichts trat plötzlich Schutzengel Geni Frei der Werkstattchef zwischen Opi und mich.
„Du hurrä Schofseckel! Du muesch em Stift zerscht sägä was ä Motorbrems isch Du hurrä Tubel!
Geni Frei teilte mir dann lebensrettend gleich eine andere Arbeit zu und die Sache war somit vom Chef erledigt.
Der Todesschreck ist aber auch Opi eingefahren, denn ich hatte nachher als einziger Lehrling nie Probleme mit ihm und wir hatten ein neutrales Verhältnis.
Wir hatten gleich zu Anfang alles mit der Motorbremse geregelt.

Opi und der Gelenkbus
Eine weitere Opi Geschichte war die mit dem PTT Gelenkbus.
Der wurde mit mehreren pneumatischen Säulen aufgebockt, um am Unterflurmotor zu arbeiten.
Einer der älteren Lehrlinge hatte aber einen der Druckschläuche nicht richtig befestigt und der Stutzen löste sich unter Druck.
Durch den plötzlichen Druckverlust im System fielen alle Hebesäulen simultan zusammen und der Tonnenschwere Gelenkbus stürzte aus 2m Höhe in die Tiefe.
Die Mechaniker sprangen erschrocken zur Seite. Nur der humpelnde Opi schaffte es nicht rechtzeitig und wurde vom Bus erfasst.
Die Mechaniker sprangen sofort zu Opi und zogen ihn mit zwei gebrochenen Beinen unter dem Bus raus.
Geni Frei teilte wie ein Maschinengewehr „Hurrä Schofsseckel“ in alle Richtungen aus und organisierte die Rettung des Verletzten.
Ambulanz wurde alarmiert und Opi verschwand im Krankenauto und wurde ins Spital gebracht.
Damals waren noch alle Saurer Mitarbeiter bei der Saurer Krankenkasse für CHF 30.- im Monat für alles inkl. Zahn und Brille versichert. Heute unvorstellbar.
Die Geschichte endet aber noch nicht hier.
24h nach dem Gelenkbus Absturz aus dem sacre bleu, fuhr ein Taxi bei der Werkstatt vor.
Auf zwei Krücken quälte sich Opi aus dem Taxi und bewegte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf das offene Werkstatttor zu. Herr Eugster der Stv Werkstattchef sah Opi und fing an laut nach Geni Frei dem Werkstattchef zu rufen und zeigte ungläubig auf die auferstandene Gestalt auf Krücken.
Eugen Frei eilte herbei, pflanzte sich vor Opi hin: „Was machsch Du doh Walter!?“
Opi: „Muess dä Glenkbus doch noh fertig mache!“
Geni Frei lief knall rot an: HAU AB DU HURRÄ SCHOFSSECKEL, LUEG DAS HEI CHUNSCH Ihs Bett!!!!!!“
Die Wortgewante Fürsorge spedierte Walter dann zurück ins Taxi und nach Hause.
Das Pflichtbewusstsein damals! Heute unglaublich wenn man es nicht selber erlebt hat. Eine andere Zeit.

Eihmol sägä, immer wüsse!
Dieser Saurer Spruch wurden den Lehrlingen vom ersten Tag weg immer wieder eingebrannt. Mehrfaches Fragen gab es nicht. Wer nicht hören will muss fühlen, mit den Schlägen für Lehrlinge war man bei Saurer sehr grosszügig. Ein Saurer Markenzeichen.
Ich bemerke heute das für viele Saurer Veteranen in Ihren Erinnerungen, das geschlagen werden eine zentrale Erinnerung an Saurer ist.
Beim Lehrlingstreffen 2024 meinte ein Referent die Schläge in der Jugend hätten uns Saurer Lehrlinge für die Zukunft und für unsere Karrieren die wir dann erfolgreich beschritten gestählt.
Zu meiner Zeit gab es auch Eltern von Mitschülern, die nicht wollten das ihre Kinder zu Saurer in die Lehre gingen, weil man wusste das in den heiligen Höllen Hallen der Adolph Saurer AG ein unbarmherziger Umgang gepflegt wurde.
Die Kehrseite der Saurer Feuertaufe war aber das man als angesehener Profi aus der Charakter Schmiede einer Schweizer Traditionsfirma kam. Man war verlässlich, resilient und man konnte was und dieser Ruf war überall anerkannt. Man war Teil der heiligen Saurer Bruderschaft und das war landesweit etwas wert und man war gern gesehen und respektiert. Man brauchte nichts zu beweisen, man war wer. Än Saurer Maa!

An einem Tag wurde ein Museumsfahrzeug in der Werkstatt angeliefert für eine Restauration. Es handelte sich um einen 16 Zylinder Boxermotor von 1916, ein ganz seltenes Stück. Die Lehrlinge mussten obligatorisch und ehrerbietend den Motor ansehen aus gebührender Entfernung. Sowas sah man dann nie wieder.
Mit diesem Motor hatte niemand Erfahrung…niemand ausser Opi!

Geni Frei der Werkstattchef kommandierte Opi mit seiner langjährigen Erfahrung. Er war der Dienstälteste Mech der sowas schon mal gesehen hatte.
Opi bekam den Auftrag den Motor zu revidieren. Er war der einzige der das konnte.
Uns Lehrlingen fiel dann über die nächsten Tage auf, das Opi immer jähzorniger wurde und sich am Motor nicht viel zu tun schien.
Bleihämmer flogen, Eimer wurden getreten, es wurde im Minutentakt geflucht.
Geni Frei wurde dann am Dritten Tag laut, dass sich am alten Motor nichts tat.
Alle waren konsterniert. Anscheinend kam Opi mit dem Motor nicht weiter.
Ich hörte dann nur mal das Stv Herr Eugster dem Geni Frei zurief: „Mir müend dä Hans wieder hole!“

Am nächsten Morgen Punkt 07:00 stand er da, der mysteriöse Hans!
Es handelte sich hierbei um einen kleinen aber stark gebauten, freundlichen, über 80 jährigen Pensionär Mechaniker. Er trug einen grauen neu aussehenden und perfekt gebügelten 1930er Nadelfilz Kombi, mit einem Edelweiss Pin und einem Saurer Pin auf der Brusttasche. Ein Saurer Veteran! Eine Respektsperson!
Seine Heiligkeit der Ur Mechaniker Hans war aus dem Himmel auf die Erde gekommen um die Motorenerlösung zu bringen.
Hans sah auf den alten Motor. Für ihn war gleich alles klar.
Mit dem rechten Zeigefinger winkte er in den Schatten hinter der Treppe zum «Ölbergi (Zwischenboden in der Halle).
Opi trat kleinlaut aus dem Schatten und kam wiederwillig auf den heiligen Hans zu.
Der Hans (85+) war gut zwei Köpfe kleiner als Opi (46).
Blitzschnell gab es einen Chlapf, Opi fing eine schallende Backpfeife ein von Hans.
Hans schüttelte nur den Kopf: „Das han ich Dir 1959 zeiget wie mer das macht Walter! Eimohl sägä, immer wüssä!“
Opi stand schweigend und gescholten da, wieder in die Lehrlingsrolle zurückkatapultiert.
Die Opi geplagten Lehrlinge konnten nicht glauben was sie da gerade gesehen hatten.
Opis alter Lehrmeister war aus der Vergangenheit aufgetaucht und hatte unseren Peiniger zur Rechenschaft gezogen. Wir begriffen auch plötzlich wo Opi seinen Lehrlingsumgang gelernt hatte! Ihm war es nicht besser gegangen als uns.
Es geht halt nichts über die gute alte Tradition.
„Eimohl sägä, immer wüsse!“ versinnbildlicht. Die Vergangenheit holt einem immer ein.
Hans erledigte dann den alten Boxermotor noch am gleichen Tag, nur sein alter Lehrling Opi ging ihm zur Hand.
Noch vor 16:00 war Hans wieder im Reich der Legenden verschwunden, die Arbeit schnell und sauber gemacht, Opi der alte Lehrling mit 46 Jahren profilaktisch nochmal gezüchtigt.
Für uns „geschlagene“ Lehrlinge war die Welt an diesem Abend in Ordnung.

„Nöd vergesse ihr hurrä Schofsseckel: 

Eimohl sägä, immer wüsse!“

Pinke Pocken!

An einem Tag mussten alle Lehrlinge die grossen Austausch LKW Startermotoren aus dem Lager in die Werkstatt tragen. Sie wurden fein säuberlich aufgereit, ca. 40 Stk. Geni Frei der Werkstattchef befahl den Lehrlingen die schweren Starter mit schwarzer Rostschutzfarbe neu zu streichen und überliess sie der Arbeit. Pünktlich 16:30 war die Arbeit von dem Dutzend Lehrlingen erledigt. Die Starter lagen schwarz glänzenden in langen Reihen da, bereit zur Inspektion am nächsten Morgen durch Geni Frei.

Am nächsten Morgen gleich nach dem Zeitstempeln wurde alle Lehrlinge in die Werkstatt zitiert.

Ein Sturm aus «Schofseckel» Flüchen und Beschimpfungen flog uns Lehrlingen entgegen.

Geni Frei sprang im Quadrat vor Wut und deutete auf die Starter.

Da lagen sie alle frisch gemalt…aber neu mit riesigen rosa Pocken Tupfen verziert.

Was und einfalle, verdammte Frechheit, verlorene Zeit, unbrauchbare Stifte! Alles musste man sich anhören.

Natürlich wurden die Starter wieder schwarz gemalt durch die armen zusammengestauchten Lehrlinge.

Der einzige der heimlich lachte war Geni Frei selbst, der im Werkstattbüro unter dem Schreibtisch eine heimliche Dose rosa Farbe hortete…für spezielle Momente! Hurrä Schofseckel!

12.6.2024      Thomas Raymann